Sonntag, 4. Dezember 2011



(aus: konrad von würzburg: der welt lohn)


schon in den handschriften des mittelalters finden wir ekel und furcht vor dem sterben, gar vor der welt, dem leben an sich. in konrad von würzburgs versen trifft ein ritter auf eine frau namens welt. sie ist wunderschön, doch als der ritter ihren rücken erblickt, sieht er, dass sie bereits verwest. kröten und würmer treten aus ihrem leib. angewidert kehrt er sich sodann von ihr – der vermeintlich rundum schönen welt – ab. (doch ist verwesung wirklich hässlich?)

adäquat hierzu sagt der tod in "ente, tod und tulpe" : "ich bin schon in deiner nähe, solange du lebst." wenn der ritter sich dessen bewusst gewesen wäre, hätte er beim anblick der verwesung vielleicht mit faszination statt mit erschaudern reagiert. ("hätte hätte fahrradkette". ähm. ja. nun.) doch bei aller todesliebe bin ich selbstredend froh, dass ihr mir den tod nicht am rücken ablesen könnt. die geschichte vom ritter und der welt lebt allerdings von ihrer gleichzeitigkeit des lebens, sterbens und verwesens. (und ist zudem ein sinnbildtrio des früh- hoch- und spätmittelalters: aufstieg/blüte/verfall. ein sinnbild all unserer epochen. ein sinnbild unseres seins.)

wenn wir sterben, durchleben wir einen prozess. unsere seele fliegt mit unserem letzten atemzug in andere sphären und unser körper setzt sich den vier stadien der verwesung aus. zunächst beginnt die autolyse, in der sich zellen und organe chemisch selbst abbauen. hierauf folgt die fäulnis. bakterien fressen unser gewebe und produzieren dabei gase, die den körper aufblähen. im stadium der verwesung entweichen diese gase und flüssigkeiten, wir vertrocknen wie ein samenkorn. zum letzten mal regen wir uns dann bei der skelettierung, wenn unsere knochen zerfallen. 

auf der body farm der universität tennessee wird dieser prozess studiert. auf dem ca. 12 000 quadratmeter großen gelände liegen leichen von menschen, die sich zu lebzeiten für die forschung zur verfügung stellten in autos, unter blättern oder planen und erzählen den forensikern ihre geschichten. ich habe große lust irgendwann einmal einen exkurs zu einer body farm zu unternehmen, ihr könnt euch liebend gerne anschließen. 

von würzburgs ritter hat jedenfalls keine lust auf die sterbende welt und sich deshalb von ihr abgewandt. aber, wohin blickt er dann? überall ist leben und sterben, im grunde hat er keine wahl. und doch, er muss nicht fasziniert im weltkadaver pulen, seine augen entschieden sich zu ruhen. auf anderen weltkadavern. bewusster? verdauend! irgendwie mutig.

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